J. Ryan Stradal: Die Geheimnisse der Küche des Mittleren Westens

Dieses Buch hatte bis zur Mitte das Potenzial, zu einem meiner Lieblingsbücher zu werden. Die zweite Hälfte hat mich ein bisschen verwirrt, aber nichtsdestotrotz gibt’s von mir eine unbedingte Leseempfehlung.

Worum geht’s? Um das Leben einer Spitzenköchin

Eva Thorvald ist in den USA bekannt für ihre Pop-up-Dinner. Sie finden etwa fünfmal im Jahr statt und jeder Gast bezahlt 5.000 Dollar. Wer teilnehmen möchte, wartet vier oder fünf Jahre auf einen Platz. Allein sich auf die Warteliste setzen zu lassen, kostet Geld. Kurz: Sie ist ein Star.

Aufgewachsen ist Eva so: Ihre Mutter, eine Sommelière, hat sie verlassen, als sie drei Monate alt war. Ihr Vater, ein Koch, ist kurz darauf gestorben. Also wuchs Eva bei Onkel und Tante auf – in eher ärmlichen Verhältnissen und mit viel Fast Food. Aber die Gene ihrer Eltern setzen sich letztendlich durch. Wie, darum geht es in diesem Buch.

Es werden einzelne Kapitel aus Evas Leben erzählt. Anfangs geht es dabei primär um sie, später geht es dann um Menschen, die irgendwie mit ihr in Beziehung treten. Das war auch der Punkt, an dem mich „Die Geheimnisse der Küche des Mittleren Westens“ verwirrt hat, weil ich mich manchmal nicht erinnern konnte, wer schon erwähnt wurde oder wer mit wem zusammen war. Die zweite Hälfte des Buches besteht fast aus in sich abgeschlossenen Kurzgeschichten, die alle zwar mit Eva Thorvald zu tun haben, aber nur indirekt.

Klamotten- statt Charakterbeschreibung

Dennoch sind die einzelnen Geschichten so schön geschrieben, dass es viel Spaß macht, sie zu lesen. Es geht um Menschen, und die werden geschickt beschrieben. Ein Beispiel dafür ist Eva: In den verschiedenen Stationen ihres Lebens beschreibt Stradal nicht, mit welchen Problemen sie kämpft oder wie ihr Charakter ist, sondern er erzählt uns, welche Klamotten sie trägt. Und wir wissen alles. Zwei Beispiele:

Eva ist in der 11. Klasse:

„Sie trug ochsenblutfarbene Doc Martens, schwarzen Nagellack, einen schwarzen Minirock, mit Manic Panic gefärbtes, leuchtend rotes Haar und ein weißes T-Shirt, auf dem THE SMITHS und MEAT IS MURDER stand.“

Stradal, J. Ryan: Die Geheimnisse der Küche des Mittleren Westens (2016), S. 146

Eva ist Spitzenköchin:

„Bei ihnen stand eine ernst dreinblickende, stabil gebaute Frau Mitte zwanzig in Cargohose und weißem T-Shirt, ein Outfit so unmodisch und schlicht, dass sie damit aus der Menge hervorstach.“

Stradal, J. Ryan: Die Geheimnisse der Küche des Mittleren Westens (2016), S. 348

Dieses Buch ist was für dich, wenn du:

  • gerne weiter über ein Buch nachdenkst, wenn du es fertig gelesen hast. Ich habe immer wieder Geistesblitze, weil ich plötzlich einen Zusammenhang verstehe.
  • es schätzt, wenn Leidenschaft belohnt wird.
  • es in der Schule ungerecht fandest, wenn Mitschüler, die stur auswendig lernten, gute Noten bekamen, obwohl sie vom Thema wenig verstanden haben.

Ich habe folgendes Buch gelesen:
Stradal, J. Ryan: Die Geheimnisse der Küche des Mittleren Westens. Erschienen bei Diogenes Verlag AG, 2016.
Herkunft: Auf dem Fürther Graffelmarkt gekauft. Für die Nicht-Fürther: Das ist ein Flohmarkt in der Altstadt.

Bild: (c) Susanne – aufgenommen in Bad Hofgastein, Österreich, 2019

Susanne

Zurück nach oben