Alice Munro: Der Traum meiner Mutter

Meine Erfahrungen mit Erzählungen beschränken sich ungefähr auf Herrn Palomar (Italo Calvino) und Geri Weibel (Martin Suter). Ich dachte, Erzählungen sind was für lustige Geschichten können einen nicht so richtig fesseln. Ich wurde eines Besseren belehrt.

Worum geht’s? Um Zwischenmenschliches

„Der Traum meiner Mutter“ beinhaltet vier Erzählungen der kanadischen Schriftstellerin Alice Munro. Kurz zusammengefasst geht es darum:

Der Traum meiner Mutter

Diese Erzählung handelt von einer jungen Frau, die Witwe wird, kurz bevor sie Mutter wird. Sie zieht in das Haus, in dem ihr Ehemann aufgewachsen ist, und wohnt dort mit ihrer Schwiegermutter und deren Töchtern. Sie kann mit ihrem Neugeborenen anfangs nichts anfangen – eine ihrer Schwägerinnen dafür umso mehr. Wunderbar erzählt! Das ist die beste Geschichte des Buchs. Sie hat mich so gefesselt, dass ich es gar nicht mehr weglegen wollte.

Die Kinder bleiben hier

„Vor dreißig Jahren verbrachte eine Familie die Ferien gemeinsam an der Ostküste von Vancouver Island. Ein junger Vater und eine junge Mutter, ihre beiden kleinen Töchter und ein älteres Ehepaar, die Eltern des Mannes. Welch tadelloses Wetter.“

Munro, Alice: Der Traum meiner Mutter (2013), S. 71

Das ist der Anfang der Erzählung. Am Ende ist das Idyll zerbrochen – das junge Ehepaar trennt sich. Warum sie auseinandergehen und wer er sich auch von den Kindern trennen muss, verrate ich nicht. Eine geniale Beschreibung der Dynamik innerhalb einer Familie und des Verhältnisses von Schwiegereltern und -tochter. Und wie der Ehemann zwischen den Stühlen steht, weil er es doch allen Recht machen möchte. Hat mich aber nicht ganz so gefesselt wie die erste Erzählung.

Stinkreich

Aus der Perspektive eines zehnjährigen Mädchens erzählt. Ihre Eltern sind geschieden, Karin lebt bei ihrem Vater und dessen neuer Frau. Die Sommer verbringt sie bei ihrer Mutter, und genau am Anfang solch eines Sommers setzt die Geschichte ein. Sie besucht ihre Mutter, die in einer bizarren Dreierbeziehung in der Einöde irgendwo in Kanada lebt. Deren Partner hat sich zwar kürzlich von ihr getrennt. Doch sie bewohnt weiter einen Wohnwagen, der unweit des Hauses steht, in dem ihr Ex-Partner nun wieder mit seiner Frau zusammenwohnt. Alle essen zusammen Abend. Ist schon für Erwachsene kompliziert, oder? Verständlich, dass eine Zehnjährige Probleme hat. Karin ergreift seltsame Maßnahmen und eine davon wird sie für ihr Leben zeichnen. Das Thema war mir etwas zu abstrus, deswegen ist das für mich die schlechteste Erzählung des Bands.

Vor dem Wandel

Am Schluss noch mal ein Highlight: Diese Erzählung hat mich wieder absolut gefesselt. Die Hauptfigur, eine Frau in ihren Zwanzigern, hat sich eben von ihrem Lebensgefährten getrennt. Warum, erfährt man im Lauf der Geschichte. Sie hat ihr Studium abgebrochen und kehrt in das Haus ihres Vaters zurück. Dieser ist Arzt, seinen Haushalt und seine Praxis führt eine alte Haushälterin. Die Mutter der Frau ist bei deren Geburt gestorben. Schwierig, die Handlung zu beschreiben, ohne zu viel zu verraten. Die Hauptfigur findet etwas über ihren Vater heraus, das ganz eng mit ihrem eigenen Schicksal verknüpft ist. Ist das nun überraschend – weil Zufall? Oder ist das nur logisch – weil wir von unseren Eltern geprägt sind? Darüber kann der Leser eine Weile nachdenken…

Dieses Buch ist was für dich, wenn du:

  • ausgesprochen gute Geschichten über zwischenmenschliche Beziehungen und Liebe lesen willst.
  • weißt, dass in normalen Familien eh die interessantesten Sachen passieren.
  • du ein Buch lesen willst, das du nicht weglegen kannst.

Ich habe folgendes Buch gelesen:
Munro, Alice: Der Traum meiner Mutter. Erschienen bei Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main, 5. Auflage 20013. Das Original ist von 1998.

Herkunft:
Aus einem Bücherschrank in Fürth

Bild: (c) Susanne – aufgenommen in Florenz, Italien, 2019
(Das ist ein Detail aus der bemalten Kuppel des Doms)

Susanne

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