Anne Tyler: Launen der Zeit

Die Entwicklung der Hauptperson ist wirklich schön zu lesen. Sie nimmt endlich ihr Leben selbst in die Hand, anstatt andere über sich entscheiden zu lassen. Aber das Buch war mir etwas zu offensichtlich geschrieben, deswegen gibt’s nur ein „kann man mal lesen“ von mir.

Worum geht’s? Um das Leben von Willa.

„Launen der Zeit“ begleitet Willa mit Zeitsprüngen von 1967 bis 2017.

1967

Willa ist elf Jahre alt und wohnt in einer Kleinstadt in den USA. Sie hat eine jüngere Schwester, eine Mutter und einen Vater – allem Anschein nach eine normale Familie. Doch ihre Mutter leidet an einer bipolaren Störung (das ist nur meine laienhafte Diagnose). An ihren schlechten Tagen schlägt sie die Kinder oder verschwindet tagelang. Der Vater ist weich, zu weich – er versucht, jedem alles recht zu machen und die Launen seiner Frau den Kindern gegenüber auszugleichen.

1977

Mit 21 heiratet Willa ihren ersten Mann Derek. Sie bricht ihm zuliebe ihr Studium ab und zieht mit ihm nach Kalifornien, weil er dort einen Job bekommt. Ihr fehlen so manche Dinge, zum Beispiel gefällt ihr das zu heiße Wetter nicht, aber sie beklagt sich nicht, denn sie denkt, dass man für eine perfekte Familie Abstriche machen muss.

1997

Willas Mann Derek kommt bei einem Autounfall ums Leben.

2017

Willa ist neu verheiratet, mit Peter. Willa ist ihm zuliebe nach Arizona gezogen – wo es noch heißer ist als in Kalifornien. Eigentlich ist jedem Leser klar, dass sie Peters Leben lebt und nicht ihr eigenes – aber Willa ist eine stille Frau, die sich anpasst. Bis sie einen Anruf erhält und spontan das macht, worauf sie Lust hat. Durch ein Missverständnis wird sie zu einer Ersatz-Oma in einem anderen Bundesstaat. Sie taucht in das Leben fremder Menschen ein, die oberflächlich betrachtet ein weniger perfektes Leben führen als Willa und Peter. Das Haus ist schmuddeliger, die Regeln sind lockerer – aber die Stimmung ist herzlicher. In ihrer neuen Nachbarschaft ist jeder der, der er sein mag. Ob Willa es schafft, sich das für immer zu gönnen, oder in ihr altes Leben zurückkehrt, verrate ich nicht.

„Etwa eine Minute später verließ auch Willa ihren Platz. Einerseits wollte sie nicht wie eine Nachmacherin wirken, andererseits war es ihr wichtig, den Toilettengang so zu legen, dass niemand ihretwegen aufzustehen brauchte.“ (Anm.: Im Flugzeug)

Tyler, Anne: Launen der Zeit (2018), S. 301

Stille Menschen werden oft übergangen

Die Themen des Buches mag ich außerordentlich gerne. Erstens werden stille Menschen oft übergangen, weil sie ihre Bedürfnisse nicht äußern. Es kann ihnen aber keiner abnehmen, für sich selbst einzustehen und für sich selbst zu kämpfen. Erstaunlicherweise funktioniert das reibungslos, wenn man nur mal den Mund aufmacht.

Zweitens ist nicht alles perfekt, was nach außen hin perfekt scheint. Menschen, die sich weniger darum kümmern, perfekt zu wirken, kümmern sich mehr darum, was sie tief in ihrem Herzen möchten und bleiben sich selbst treu. Anstatt sich zu fragen: „Was könnten die Kollegen denken?“ sollte jeder darauf hören, was das Herz sagt: Was macht mich glücklich, womit fühle ich mich gut?

Trotz dieser großen Themen hat mich „Launen der Zeit“ nicht ganz überzeugt. Mir war das oft zu offensichtlich beschrieben, was ich gerne selbst interpretiert hätte. Dadurch klang das Buch an manchen Stellen fast kitschig.

Dieses Buch ist was für dich, wenn du:

  • ein Herz für stille Menschen hast oder selbst einer bist.
  • daran erinnert werden möchtest, auf dein Herz zu hören und auf niemand anders.
  • Jojo Moyes magst, aber etwas suchst, das weniger kitschig ist.

Ich habe folgendes Buch gelesen:
Tyler, Anne: Launen der Zeit. Erschienen bei Kein & Aber AG, Zürich – Berlin, 2018.

Herkunft:
Vielen Dank fürs Leihen, Sophie!

Bild: (c) Susanne – aufgenommen in der Kofferfabrik Fürth, 2019

Susanne

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