Graham Greene: Die Reisen mit meiner Tante

Graham Greene muss ein verrückter Vogel sein, wenn er so ein Buch schreiben kann. Er muss einer sein, der das Leben nicht so ernst nimmt, und der gerne die auf den Arm nimmt, die es tun. Wie sonst könnte einem diese Geschichte einfallen?

Worum geht’s? Um einen pensionierten Banker

„Die Reisen mit meiner Tante“ spielt Anfang der 1960er Jahre. Ein pensionierter, einzelgängerischer Bankdirektor namens Henry, um die 50, der nie verheiratet war. Sein Hobby sind seine Dahlien und er ist ganz allein, seit seine Mutter kürzlich verstorben ist. Seine 75-jährige Tante, die so viele Liebschaften wie Jobs hatte, an fast allen Orten dieser Welt schon mal gelebt hat, und irgendwie Dreck am Stecken hat. Sie beide treffen sich auf der Beerdigung von Henrys Mutter.

Und ab dann geht die Post ab in Henrys Leben – inklusive Reisen, natürlich, aber auch Goldschmuggel, Hasch, Kunstfälschung, Knast. Das Buch beginnt in Henrys US-amerikanischer Kleinstadt und endet in Asunción, Paraguay. Mit Stationen im Orientexpress, an der englischen Küste und vielen mehr. Am Schluss steht in Henrys altem Leben kein Stein mehr auf dem anderen – aber es war doch ohnehin mega langweilig, oder?

Verrückt? Verrückt!

Klingt verrückt? Das Buch ist herrlich verrückt! Und es steckt voller schwarzem Humor. Als es seitenlang um Gottesdienste für Hunde ging, wollte ich es schon weglegen. Zum Glück habe ich es nicht getan. Wenn man sich einmal von der Erwartung befreit hat, dass alles Sinn machen muss, liest sich das Buch fabelhaft. Im wahrsten Sinne des Wortes. Da es manchmal etwas arg abgedreht ist, landet es „nur“ in der Kategorie „Bücher, die man mal lesen kann“. Aber ich lege es euch trotzdem ans Herz.

Henry und Henry

Es war auch wunderbar, dass ich eine Ausgabe von 1973 in der Hand hielt, das hat irgendwie gepasst. Für solche Schätze mag ich Bücherschränke. Das Original ist übrigens 1969 erschienen, da war Graham Greene selbst 65 Jahre alt. Graham Greenes eigentlicher erster Vorname war Henry – hat er in diesem Buch über sein eigenes Leben geschrieben? Fand er es langweilig und wäre gerne ausgebrochen?

Ich habe kurz recherchiert: Greene war während des zweiten Weltkriegs in einer Mission des Britischen Geheimdiensts im Ausland unterwegs. Auch sonst ist er viel gereist. Er war oft in Bordellen und hatte Affären, während er verheiratet war. Scheint also, als hätte er seinem eigenen sehr bewegten Leben ein (zunächst) langweiligeres Henry-Pendant gegenübergestellt. Auf Wikipedia ist zu lesen, dass Graham Greene „von dem ewigen Gefühl der Langeweile getrieben“ war. Schwer vorzustellen, dass jemandem langweilig ist, der sich solche verrückten Geschichten ausdenken kann.

Dieses Buch ist was für dich, wenn du:

  • der Langweile entfliehen willst.
  • unentschlossen bist, ob die langweiligen Guten oder die abenteuerlustigen Bösen ein erfüllteres Leben führen.
  • seitenweise über Dinge lesen willst, von denen du nie gedacht hast, dass du jemals seitenweise

Ich habe folgendes Buch gelesen:
Greene, Graham: Die Reisen mit meiner Tante. Erschienen im Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, 1973.

Herkunft:
Aus einem Bücherschrank

Bild: (c) Susanne – aufgenommen in Valparaíso, Chile, 2012

Susanne

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