Toni Morrison: Menschenkind

Was bleibt uns, wenn uns die Würde genommen wird? Eines sind wir jedenfalls immer: Menschenkinder. Egal, welcher Hautfarbe. Ein berührendes Buch! Toni Morrison war die erste afroamerikanische Autorin, die den Literaturnobelpreis erhielt. 2019 ist sie verstorben, und als ich die Nachrufe las, nahm ich mir vor, eines ihrer Bücher zu lesen. „Menschenkind“ ist es geworden.

Worum geht’s? Um eine geflüchtete Sklavin

Sethe ist das Kind einer Sklavin und gehörte damit von Geburt an nicht sich selbst, sondern einem Weißen. Sie arbeitet unentgeltlich, wird gequält, bekommt vier Kinder und entscheidet sich zu flüchten, als sie einen neuen und brutaleren Herrn bekommt. Tatsächlich schafft sie es, sich und ihre Kinder in einen Bundesstaat zu bringen, in dem sie frei ist. Doch ihr Herr findet sie dort eines Tages. Aus purer Verzweiflung versucht sie alle ihre Kinder umzubringen, bevor ihr „Besitzer“ sie mitnehmen kann. Denn eines steht für Sethe fest: Es ist besser zu sterben als als Sklave zu leben. Mit ihr Tat rettet sie sich und ihre Familie, aber zu einem hohen Preis: Eines der Kinder stirbt tatsächlich. Auf dessen Grabstein steht: Menschenkind.

Wir bleiben immer Menschenkind

Wie lebt man weiter, wenn man sein Kind getötet hat? Wie lebt man weiter, wenn man Sklavin war? Wie findet man sich selbst, wie vergisst man das Erlebte? Was ist verloren gegangen in Sethe mit dem, was sie tat, und was ihr angetan wurde? Was ist noch da von dem Mensch Sethe und vom „Menschenkind“? Denn dass wir Menschenkinder sind, kann uns keiner jemals nehmen.

Erst Sklaverei, dann Lynchmorde

Die englische Originalausgabe „Beloved“ erschien 1987, nur hundert Jahre nach der Zeit, in der der Roman spielt. Und wie viel hat sich zum Glück doch geändert in diesen hundert Jahren! Damals ist Sklaverei in manchen Staaten der USA noch erlaubt. In anderen dagegen sind schwarze Menschen zwar frei, aber Weiße haben begonnen, Hetze auf sie zu machen. Mehr als 4.700 Amerikaner verloren zwischen 1882 und 1946 in Lynchmorden ihr Leben. Das heißt, sie wurden vor Publikum zu Tode gefoltert. Damit sollte die Rolle der Afroamerikaner in den USA auch nach Ende der Sklaverei weiter klein gehalten werden. (Quelle: Focus)

In dieser Zeit lebt Sethe, die zusätzlich zu den aktuellen Erniedrigungen ein großes Päckchen mit sich herumträgt – das in der Sklaverei Erlebte plus die Schuld wegen des Mordes an ihrem eigenen Kind. Im Roman erzählt Morrison, was Sethe widerfahren ist.

Szenen aus dem Sklavenalltag

Auch wenn es ein Roman und kein Sachbuch ist, gelingt es Toni Morrison doch sehr gut, Szenen aus dem Sklavenalltag zu beschreiben. Ein paar Impressionen:

  • Schwarze Frauen wurden dazu verwendet, den Sklavennachwuchs zu sichern. Sie wurden vergewaltigt, damit sie Kinder gebären. Die Kinder durften sie nicht behalten, sie wurden von anderen Frauen versorgt, damit die Mütter weiterarbeiten konnten. Die Kinder wurden im Grundschulalter selbst zur Arbeit eingesetzt oder verkauft.
  • Folter war keine Seltenheit, zum Beispiel Auspeitschungen. Auf Sethes Rücken zum Beispiel wächst, wie sie es beschreibt, ein Baum (Narben von Peitschenstriemen).
  • Schwarze konnten z.B. gelyncht werden, wenn Sie nicht vom Bürgersteig auf die Straße traten, wenn Weiße ihnen entgegen kamen. Das reichte, um jemanden zu Tode zu foltern.
  • Schwarze Kinder bekamen natürlich keinerlei Schulbildung.
  • Sklaven konnten nicht heiraten und hatten keinerlei Chance, vor dem Gesetz eine eigene Familie zu haben. Sie hatten keinen Anspruch auf nichts.
  • Einer der Sklaven im Buch kommt in ein Arbeitslager, wo er tagsüber schuften muss und seine Nächte in einer Art Sarg verbringt, der in den Boden eingegraben ist, er bekommt nur schwer Luft, muss sich selbst anpinkeln, etc.

Schwere Kost

Ich muss dazusagen, „Menschenkind“ ist nicht immer einfach zu lesen. Manchmal sind Gedichte und Gedankenströme eingebaut, die schwer verdaulich sind. Auch andere Sätze erscheinen teils wie von einem Analphabeten verfasst. Genau das macht jedoch einen Teil der authentischen Stimmung aus, die das Buch erzeugt. In Sethes Kopf sieht es wahrscheinlich sehr ähnlich aus. Dennoch kam ich nicht immer damit klar. Das Buch bewegt, und es sollte tatsächlich zur Pflichtlektüre gehören. Nicht nur weil Toni Morrison dafür den Pulitzer- und für ihr Werk den Nobelpreis verliehen bekommen hat.

Dieses Buch ist was für dich, wenn du:

  • dein eigenes freies Leben mal wieder so richtig schätzen willst (und ja, wir sind trotz Corona frei!).
  • dich fragst, was einen Menschen zum Menschen macht.
  • ein bisschen über die afroamerikanische Geschichte in den USA lernen willst.

Ich habe folgendes Buch gelesen:
Morrison, Toni: Menschenkind. Erschienen Rowohlt Verlag, Hamburg, 2019.

Herkunft:
Als E-Book gekauft.

Bild: (c) Susanne – aufgenommen im Stadtpark Fürth, 2020

Susanne

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